Öffentlicher Dienst: satt.org

Superschiff live (2002)

Text für Fritz

fritzfest

Fritz Widhalm wird sechzig! Zur Festschrift »Fritzfest« (Edition CH) habe ich folgenden Text beigetragen – eine Hommage auf das kollektive Internettagebuch daily wien, das 2002 einen Monat lang auf satt.org erschien.

 

daily wien april zweitausendzwei

ostersonne
vier schriftsteller und schriftstellerinnen
zahn sagt der fritz
schmerz sagt die ilse
bei der legendären und jährlichen lyriklesung
olle menschn san ma zwida i mechts in die goschn haun
nervös im bett
gemüse im nackten arsch
saftige denkanstöße
das macht spaß
zuckerlecken
bewußtseinstrübung oder benommenheit
die schlußszene in some like it hot
das passende haustier
blutwursten
die sprache weit entfernt
auweh
der makler wird zurückgepfiffen
oulipo-devianzen im café sperlhof
wirkung und ursache verlieren sich im greifbaren
jetzt schreiben wir tagebuch
tagebuch frisst leben
pläne bis zum großen sommerevent
der boden ist übersät mit papier- und folienstreifen
fröhliches denken
thriller-nacht
ilse und fritz haben sich auf einen fünfjahresplan geeinigt
dem universum etwas geschenkt das es abkaufen kann
der fritz körper geht nun in die fröhliche küche
unser schönstes und jugendlichstes Mitglied
in tiefster seele zufrieden
einige gläschen aufeinander heben
da steht unsere witzekanzlerin
huch, sagt da der huschige fritz
das dumme herz und der kleine revolver
sägemehl und feiner staub
versuche gegenzusteuern gegenzudenken gegenzuleben
close our eyes to the octopus ride
die römischen Nasen rümpften sich
im licht der ersten sonnenstrahlen
wo männer noch richtige männer sind
bitte eine zigarette sagt unser fritz
der grund des herzens ist bestellt
bestens bestens bestens
halb acht geht der wecker los
danke ilse
danke fritz
weiter mit daily knörer

SUKULTUR WIRD 100.000!

Sofie Lichtenstein und Moritz Müller-Schwefe werden Herausgeber der Reihen »Schöner Lesen« und »Aufklärung und Kritik«

1996 starteten die Leseheftreihen »Schöner Lesen« und »Aufklärung und Kritik«. Seit 2003 gibt es die Hefte nicht nur in Buchhandlungen, sondern auch in Süßwarenautomaten. In den Leseheftreihen erschienen größtenteils als Erstveröffentlichungen Erzählungen und Gedichte von deutschsprachigen Autoren, u.a. von Ann Cotten, Dietmar Dath, Tanja Dückers, Wolfgang Herrndorf, Monika Rinck, Clemens Setz und David Wagner, aber auch Übersetzungen von u.a. Washington Cucurto, Chris Kraus und Sarah Manguso.

In diesem Monat nun feiert SuKuLTuR ein rundes Jubiläum, denn im Oktober 2015 wurde das 100.000ste Leseheft in einem Berliner Süßwarenautomaten verkauft. Ab dem 1. November 2015 werden zudem Sofie Lichtenstein, geboren 1989 in Neuruppin, und Moritz Müller-Schwefe, geboren 1990 in Frankfurt a. M., die neuen Herausgeber der Reihen. Sie lösen damit Marc Degens ab, der von 1996 bis Oktober 2015 die Texte der Reihen ausgewählt und gemeinsam mit Torsten Franz und Frank Maleu insgesamt 158 Lesehefte herausgegeben hat.

Im November 2015 startet darüberhinaus die SuKuLTuR-Lesereihe Automatendichtung im Ori in Berlin-Neukölln (Friedelstraße 8, 12047 Berlin, U-Bahnhof Hermannplatz). An jedem zweiten Freitag des Monats werden hier SuKuLTuR-Autoren ihre Texte vorstellen. Die Auftaktlesung bestreitet die Leseheftautorin und neue Herausgeberin Sofie Lichtenstein am 13. November 2015.

Links:

Ein Podcast mit den beiden neuen Herausgebern erscheint als zweite Folge von radio satt. Meinolf Reul im Gespräch mit Sofie Lichtenstein und Moritz Müller-Schwefe.

Automatendichtung: automatendichtung.de

Verlagshomepage: sukultur.de

STILL HOT: DREISSIG FÜR WOLFGANG WELT

Mit seinem Schreiben inspiriert Wolfgang Welt weit über das Ruhrgebiet hinaus zahlreiche Leser und Schriftsteller. Ausdruck dieser Bedeutung ist auch der Sammelband »Über Alles oder Nichts«, der zu Wolfgang Welts sechzigstem Geburtstag letztes Jahr erschien. Einen Literaturpreis hat Wolfgang Welt bis heute nicht erhalten. Wir, die Unterzeichner, schlagen deshalb Wolfgang Welt für den Literaturpreis Ruhr, der bedeutendsten Auszeichnung der Region vor. Wolfgang Welt hat den Preis verdient – und das Ruhrgebiet Wolfgang Welt.

  1. Marc Degens, Bonn, Schriftsteller
  2. Walter Gödden, Ahlen, Literaturwissenschaftler
  3. Katja Kullmann, Berlin, Schriftstellerin
  4. Frank Schäfer, Braunschweig, Schriftsteller
  5. Martin Willems, Düsseldorf, Archivar
  6. Steffen Stadthaus, Berlin, Literaturwissenschaftler
  7. Willi Winkler, Hamburg, Journalist
  8. Jan Christoph Hauschild, Bochum, Literaturwissenschaftler
  9. Norbert Wehr, Essen/Köln, Literaturkritiker
  10. Ulrike Janssen, Köln, Hörfunkautorin
  11. Moritz Müller-Schwefe, Berlin, Literaturkritiker
  12. Peter Körte, Berlin, Redakteur
  13. Herbert Debes, München, Literaturkritiker
  14. Hans-Ulrich Müller-Schwefe, Berlin, Lektor
  15. Wolfgang Frömberg, Köln, Journalist
  16. André Menke, Göteborg, Literaturwissenschaftler
  17. Florian Neuner, Bochum/Berlin, Schriftsteller
  18. Klaus Bittermann, Berlin, Schriftsteller
  19. Friedrich Küppersbusch, Dortmund, Journalist
  20. Dirk Knipphals, Berlin, Literaturkritiker
  21. Falko Hennig, Berlin, Schriftsteller
  22. Fritz Eckenga, Dortmund, Schriftsteller
  23. Matthias Altenburg, Frankfurt am Main, Schriftsteller
  24. Frank Goosen, Bochum, Schriftsteller
  25. Wolfgang Höbel, Hamburg, Journalist
  26. Klaus Ferentschik, Berlin, Schriftsteller
  27. Dietmar Dath, Frankfurt am Main, Schriftsteller
  28. Hilmar Klute, München, Journalist
  29. Jan Off, Hamburg, Schriftsteller
  30. Peter Handke, Chaville, Schriftsteller

Link: Literaturpreis Ruhr 2015 2014

Literatur und Geselligkeit. Die Begeisterungsshow im Berliner Kaffee Burger. Von Michael Rutschky.

Diese Geschichte ist kompliziert. Sie handelt von dem Quellort einer neuen Avantgarde, die sich hier regelmäßig versammelt, im Berliner Kaffee Burger, wobei man das „Kaffee“ nicht französisch schreibt, sondern wie das deutsche Wort. Ein schwer ostig inszeniertes Lokal in der ehemaligen Wilhelm-Pieck-Straße, halbdunkel-gemütlich, ornamentierte Tapeten, unbequeme Stühle.

Radio Hochsee heißt beispielsweise eine Veranstaltung, die hier regelmäßig stattfindet. Oder eben Begeisterungsshow, von der jetzt erzählt wird. An jedem letzten Montag des Monats rollt sie ab, und man könnte sie als eine Art performatives Feuilleton charakterisieren, wenn das viel sagen würde.

Aber die Geschichte ist eben kompliziert. Ein Internet-Magazin namens satt Punkt org veranstaltet die monatliche Begeisterungsshow und ist gleichzeitig mit einem Kleinstverlag namens SuKuLTuR vernetzt, der gelbe Lesehefte – wie von Reclam – publiziert. Wer drei Euro Eintritt bezahlt, bekommt das neueste Exemplar. Gestern war es Moldawien von Timo Berger, eine deutsch-lateinamerikanische Liebesfarce in 17 Druckseiten, mit zwei schönen Zeichnungen von Ana Albero. Außerdem erhält der Besucher der Begeisterungsshow ein Los; denn es findet dabei eine Tombola statt. Bücher waren diesmal die Preise, das Juniheft der Zeitschrift Merkur, Musik-CDs und außerdem – für Leute, die weder lesen noch Musik hören – ein Tischstaubsauger, ein Laserpointer und eine Schachtel mit Messerbänkchen.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: dies ist nicht Kabarett mit Publikumsbeteiligung (alle Gewinner wählten übrigens den Lese- und Hörstoff). Der Gestus, den die Moderatoren kultivieren – Marc Degens und Frank Maleu, auf der Bühne an den Laptops zu sehen ist außerdem Torsten Franz, der das Bildprogramm, auf die Stirnseite projiziert, steuert – , der Gestus der Begeisterungsshow ist der einer kunstvollen Kindlichkeit, der Begeisterung eben, wie sie auch Harald Schmidt in seiner Fernsehshow vorzuführen liebte. Was Degens und Maleu und die Ihren präsentierten, begleiteten sie immer wieder mit der Formel „und das hat mich begeistert“. Kulturkonsum unter Hochrufen, sozusagen, als ästhetische Veranstaltung vor einem Publikum, das, zwischendurch Bier und andere Getränke an der Theke holend, auch leise plaudernd, so etwas zu goutieren versteht.

Was begeisterte aber? Homers Ilias beispielsweise, in der Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt, gelesen von Rolf Boysen: Schauer laufen ihm über den Rücken, gestand Tobias Lehmkuhl und kam artig auf die abendländische Literatur zu sprechen, die von Homer ihren Ausgang nehme. Dazu gab es ein Bild des schönen Brad Pitt, der Achill in Wolfgang Petersens Troja-Film, zu bewundern. Und natürlich kein kritisches Wort über diesen Film, sondern nur Begeisterung.

Sie entfachte auch die Musik von Felix Kubin und von den Boxhamsters aus Gießen, des Trios Der Plan, das sich eben neu formiert hat und glorreich in die Neue Deutsche Welle der Achtziger zurückführt. Marc Degens befragte den maulfaulen Moritz Reichelt, dessen von Südseekunst inspirierte Malerei unterdessen als Projektion zu sehen war. Ja, alles dicht vernetzt eben: Reichelt ist auch Maler (er gehörte seinerzeit locker zu den Jungen Deutschen Wilden), und was er über Der Plan erzählte, führte in die verwickelten Genealogien, die solche Musiker verbinden und von ihren Fans wie kostbares Bildungswissen gehortet werden. Vernetzung eben, die, neben der Begeisterung – wenn man neuen Managementlehren folgt – , einen modernen Betrieb charakterisieren (den alten Betrieb charakterisierten Hierarchie und Lähmung). Auch in dieser Hinsicht ist das Kaffee Burger also auf der Höhe der Zeit.

Sodann begeisterten gestern abend ein palästinensischer Experimentalfilm und die Comics von James Kochalka – aber dies hier ist ohnedies nur eine Auswahl. Wer im Netz auf satt Punkt org geht, den überschütten Informationen; und das Kaffee Burger findet sich in der Torstraße 60; durch Goldfarbe gehöht glänzt der Name in den Fenstergittern.

(Gesendet im Deutschlandfunk, Kultur heute, 1. Juni 2004)

Musikwünsche, angetragen an DJ Satt am 14. Juni 2005 im Kaffee Burger, aufgezeichnet zwischen kurz nach Mitternacht und fünf Uhr morgens

Funky
Sonnendeck
Die Ärzte »Westerland«
Nirvana
Reggae
Hiphop
Roots
The Revolting Cocks
Hiphop
Elektro
Jeans Team »Tausend Melodien«
Stereo Total »Do The Bambi«*
Laibach »Tanz mit«
The Rolling Stones »Paint It Black«
DAF »Als Wär’s Das Letzte Mal«
The Beatles »Michelle«
Smashing Pumpkins
The White Stripes
James Brown
Goa
The Rolling Stones
KMFDM
Die Ärzte
noch mal das Lied von den Chemical Brothers
Nirvana

   * Wunsch erfüllt

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