Filmdreh mit Johanna Sebauer und meiner schönen roten Tasche für ein Projekt von Katharina Duve mit Kameramann Josef im Garten des Woods Art Institute. Im Wald hatten wir vorher zufällig Rik Reinking getroffen, der ebenfalls von Katharina – schwuppdiwupp – umhüllt und fotografiert wurde. Abends nach dem Drehtag habe ich Lust auf ein Bier, laufe nach Reinbek und gehe ins Lütt Hus. Darin eine junge Barfrau und vier ältere männliche Knobelspieler. Erster Song: »Sun of Jamaica« der Goombay Dance Band. Die vier Männer knobeln still vor sich hin, in der Sofaecke links vom Tresen sitzt eine ältere rauchende Dame. Ich postiere mich an der offenen Tür am Tresen und bestelle ein Pils. Die Dame spricht mich an, ich solle ihr Alter raten. Keine Ahnung. 81. Vier Monate habe sie nicht geraucht und ihr Schätzchen sei sehr stolz auf sie. Es ist einer der Knobelspieler, sie sei eine Kölsche. Ihr Vater sei der erste gewesen, der in Köln Bohnenkaffee ausgeschenkt habe. Er habe ein Café mit vielen Angestellten gehabt und sei ein gemachter Mann gewesen. In Soest sei eine Straße nach ihrem Bruder benannt worden, Wilhelm Trockel in Soest. Ich solle es im Internet nachschauen. Ich schaue nach. In Soest gibt es keine Wilhelm-Trockel-Straße, aber immerhin einen Wilhelm-Trockel-Weg. 1981 habe sie in der zweitgrößten Rollerbahn der Welt gearbeitet, im Indianapolis in Lohbrügge. Sie fragt, was mein Beruf sei. Schriftsteller, antworte ich. Sie sagt, dass sie auch Schriftstellerin gewesen sei, in Köln habe sie für den Feuerreiter geschrieben. Jetzt schreibe sie nicht mehr, schließlich sei sie 81. Nachdem ich das Bier ausgetrunken habe, zahle ich, gehe zum Bahnhof und esse einen Dürum Döner.
Morgen ist der offizielle Erscheinungstermin des neuen ZIEGEL. Die siebzehnte Ausgabe des Hamburger Jahrbuchs für Literatur, herausgegeben von Antje Flemming und Jürgen Abel, illustriert von Sascha Hommer und erschienen im Mairisch Verlag, ist randvoll gefüllt mit Erzählungen, Gedichten, Kurzdramen und Comics von u.a. Nefeli Kavouras, Karen Köhler, Roberta Schneider, Claudia Schumacher, Johanna Sebauer, Leonhard Hieronymi, Anselm Neft, Alexander Posch u.v.a.m.
Die Anthologie enthält auch einen Auszug meines neuen, noch in Arbeit befindlichen Romans, dessen Arbeit ich exakt heute vor fünf Jahren in Toronto begonnen habe.
Die Arbeit ist immer noch nicht abgeschlossen und das Manuskript inzwischen dicker als der Ziegel.
»Mitte der Achtziger gab es nur wenige Bars und Kneipen für Künstler und Szenegänger im Schanzenviertel. Das Subito unweit des Schulterblatts war damals ein Treffpunkt. […] Bernd Begemann und Bela B. gingen in der Souterrain-Kneipe ein und aus. Wie alle ließ auch Unverricht dort anschreiben. Als ein Bekannter von ihm die Kneipe übernahm, half er beim Renovieren. In einer Schublade fanden sie unbezahlte Deckel. Bei rund 50.000 Mark, so schien es, hatte der alte Wirt aufgehört, die Schulden der Gäste aufzuschreiben. Heute steht der Laden leer, überall kleben Plakate und Sticker, die Eingangstür ist voller Graffiti. Nichts erinnert mehr an die Kneipe.«
(Sebastian Grunke über Max Unverricht, Freitag 30/2018)
»Das ›Subito‹ war nicht nur irgendeine Kneipe, auf deren Spuren sich nun vielleicht immerhin Doktoranden der Literaturwissenschaft setzen werden. Inmitten der saturierten späten Bundesrepublik war es ein Ort existentieller Kämpfe, die wirklich wahre Wirklichkeit im falschen Leben, eine Künstlerrepublik, ein Greenwich Village der Post-Punk-Gitarrenmusik. ›Und jetzt, los ihr Ärsche, ab ins Subito‹, lautete der letzte Satz des Textes, auf den Rainald Goetz 1983 in Klagenfurt das Blut tropfen ließ, als er sich beim Bachmannwettlesen mit einer Rasierklinge die Stirn aufschlitzte. Eine Szene, die längst in die Literaturgeschichte eingegangen ist. […] Ein Drittel der ›Subito‹-Stammgäste von damals hat sich inzwischen garantiert totgetrunken oder irgendwie den Absprung geschafft. Ein weiteres Drittel wurde erst mal Musik- und dann Magazin-Journalist. Und das restliche Drittel trat den langen künstlerischen Marsch durch die Institutionen an. Blixa Bargeld von den Einstürzenden Nachbauten macht inzwischen so etwas wie Hochkultur-Avantgarde. Diedrich Diederichsen ist Kunstprofessor. Nick Cave hat es irgendwie geschafft, älter zu werden. Und Rainald Goetz – 1954 geboren, Immermitschreiber, Doppel-Doktor in Geschichte und Medizin, passionierter Fahrradfahrer, Autor von inzwischen etwa einem Dutzend Bücher –, Rainald Goetz hat jetzt den Büchnerpreis, immer noch Deutschlands renommierteste Literaturauszeichnung.«
(Dirk Knipphals, taz 8.7.2015)
»– Thema Rock’n’Roll und so: Am meisten gings damals ab im SUBITO an der Stresemann-, Ecke Juliusstraße. Alter, dat war Rock’n’Roll! Nick Cave is da hingegangen, Blixa Bargeld und die ganzen Hamburger Abwärts-Typen. Die Musik war eher so punkig, Neubauten und so weiter. Kein DJ, alles von Tape oder CD. Clubkultur, sach ich mal, so mit DJ in fast jedem Laden, das kam erst später. Zum Schluss jedenfalls, als der Laden fertig war, hat der Besitzer Kasper alle unbezahlten Deckel an die Kneipenwand genagelt. 50 Mark. 100 Mark. Einer, von Nick Cave, glaube ich, hundert-drei-und-dreißig Mark, Alter. Dabei kostete dat Bier damals nur einsfuffzich! […] Irgendwann stand das Ding leer, einzwei Jahre. Und dann, was kam da rein? Ich weiß et jarnich genau… Kinderklamotten, oder so.«
(St. Pauli normal, Charly König, Rock’n’Roll, Tekkno und Dark Rooms)
»›Ihr hattet die Power, den Willen, den Mut, heute Abend rauszugehen. Ihr habt mehr Power als die meisten, die diesen Weg nicht gewagt haben. Dieser Applaus ist euer Applaus!‹ Rocko Schamoni sitzt zwischen Bierflaschen und einem Sektkübel auf der Bühne im Festsaal Kreuzberg und flirtet sein Publikum extrem platt an. Man nimmt es ihm nicht übel, denn so ein Verhalten ist den Lesern seines Romans ›Sternstunden der Bedeutungslosigkeit‹ bekannt. […] Wenn Schamonis Protagonist Michael Sonntag an die Hamburger Frauen ran will, dann packt er noch viel dreistere Plattitüden aus. Donnerstagnacht zieht es die ›Überflüssigen‹ Hamburgs in Schamonis Roman Richtung Kiez. Die Nächte enden nach einigen Linien Speed frühmorgens im alkoholischen Exzess. Die, die heute durch die vermeintliche Katastrophennacht zum Festsaal gewatet sind, wirken da vergleichsweise brav. […] Als die Eckkneipe an der Hamburger Stresemannstraße noch Subito hieß, waren die meisten hier für Abstürze noch zu jung. Im Buch wird der Laden Nasenbär genannt, heute heißt er tatsächlich so, und bietet – Ironie der Zeit – Artikel für Mutterglück und Kinderträume an. Fakt oder Fiktion, Wechsel der Generationen, allüberall.«
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