Öffentlicher Dienst: Ekkehard Knörer

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Place Petite

Einer der in meinen Augen schönsten Sätze, die ich dieses Jahr geschmiedet habe, lautet: »Die französische Lebensart in Dorsten zu genießen fiel nicht leicht, am schwersten wahrscheinlich im Bistrorant ›Place Petite‹ im Lippetor unter der Rolltreppe im Untergeschoss ohne Tageslicht neben Schlecker.« Er wurde für Kevin Vennemann geschrieben, der wie ich in Dorsten aufwuchs, und für »cargo – Zeitschrift für Film, Medien und Kultur« eine schöne, lesenswerte Kolumne in der Reihe »Provinzkino« über das einstige Schlüssel-Kino im inzwischen abgerissenen Lippetor-Center verfasst hat. Bis heute setzt der Name des Einkaufszentrums ganz viele Erinnerungen in mir frei … Das Lippetor ist wohl meine Madeleine. Kein Wunder, ich musste auf dem Weg in die Schule ja auch immer hindurch oder dran vorbei. Oben, auf dem Parkdeck, war die Praxis einer meiner Ärzte von mir (Dr. Kobold; vgl. »Der Knubbel«, Schöner Lesen #1), und später wohnte eine Referendarin, in die ich verknallt war, sogar in einer Wohnung im Lippetor. Bizarrerweise bezog nach dem Ende des Schlüssel-Kinos eine Videothek die Räumlichkeiten – in »Hier keine Kunst«, meinem Dorsten-Roman, liest der Protagonist (also ich) sogar in dieser Videothek … Wahrscheinlich habe ich zwei Romane gebraucht, um mir meine Dorsten-Vergangenheit vom Leib zu schreiben, und wahrscheinlich bin immer noch nicht damit fertig.

Vielen Dank an Ekkehard Knörer für die Übersendung der Zeitschrift.

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Abschied von den Freunden

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In den nächsten Tagen werde ich mein privates Facebook-Konto dauerhaft löschen. Zuvor möchte ich diesen Ort nutzen, um mich von meinen Facebook-Freunden zu verabschieden. Die meisten kenne ich nicht persönlich, einige sind Institutionen, etwa Buchhandlungen oder Verlage, andere existieren gar nicht, sind Pseudonyme oder tot. Ich habe Facebook stets als einen öffentlichen Raum empfunden und deshalb auch die Einladungen Wildfremder angenommen, so wie ich selber auch Freundschaftsanfragen an Personen ausgesprochen habe, die ich persönlich nicht kannte, aber zu denen ich mich aus verschiedenen Gründen hingezogen fühlte. In meinem News-Feed finden sich deshalb nun Beiträge in Sprachen, die ich nicht spreche, und in Alphabeten, die ich nicht lesen kann.

Meine allererste Statusmeldung auf Facebook, die ich am ersten April 2011 geschrieben hatte, wurde kurz darauf in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt: »Gestern habe ich den letzten Satz meines neuen Romans geschrieben, danach fiel ich sofort in ein Loch und wurde Facebook-Mitglied. Nach zwei Stunden wurde ich allerdings gesperrt, angeblich wegen zu vieler Aktivitäten (man hielt mich wohl für einen Roboter). Morgen soll ich aber entsperrt werden … Und am Montag deaktiviere ich meinen Account.«

Aus den drei Tagen bis Montag wurden am Ende über fünf Jahre.

Es gibt viele gute Gründe, sich von Facebook abzumelden, trotzdem fällt mir die Löschung meines privaten Profils nicht leicht. Zum einen, weil es einige liebgewonnene Menschen gibt, mit denen ich tatsächlich nur noch über Facebook in Verbindung stehe, zum anderen weil ich Klatsch und Tratsch liebe und Facebook dafür wie geschaffen ist. Auf Facebook habe ich Beziehungsdramen, Flirts und Gerichtsprozesse miterlebt und las Steuererklärungen, Haftbefehle und psychiatrische Gutachten. Die Nähe faszinierte und es war gar nicht wichtig, ob ich die Person kannte oder nicht. Tex Rubinowitz hat Facebook einmal einen »Wartesaal für Idioten« genannt, ich empfinde Facebook häufig eher als Bildzeitung meiner Freunde. Überdies verdanke ich Facebook erstaunliche Einblicke in den Autorenalltag meiner Kollegen, las über die Höhe von Vorschüssen bis hin zu Verlagsschelte und Lektorenlob. Ekkehard Knörer schrieb in einem Merkur-Aufsatz, dass viele der interessantesten literarischen Diskussionen in den Kommentarfeldern von Facebook stattfinden und ich teile diese Einschätzung und bin sicher, dass Literaturarchive in Zukunft hohe Summen an Facebook zahlen werden, um an diese Datennachlässe zu gelangen.

Ich selber habe mich an diesen Diskussionen höchstens mit dem Daumen beteiligt, einerseits weil mir der Ort zu öffentlich war, anderseits weil ich die Kommentarspalten auf Facebook zu versteckt fand. Dabei empfinde ich die Social-Media-Möglichkeiten für einen Schriftsteller als große Bereicherung und sehe sie als Teil meines Schreibens, so wie Lesen, Herausgeben oder Rezensieren. Zum Schluss möchte ich meine Freunde deshalb einladen, meine verifizierte Facebook-Autorenseite zu liken, denn im Grunde genommen poste ich hier fortan nichts anderes als auf meinem privaten Facebook-Konto. Meist geht es um mein Lesen und Schreiben und damit um das Persönlichste, das ich mit der Welt und Facebook teile. Die ein oder andere eigene Buchreklame wird sicherlich auch darunter sein, aber ich hoffe, dass man mir das verzeihen wird, schließlich sind Bücher laut Jean Paul ja auch nichts anderes als dickere Briefe an Freunde.

Marc Degens, 11. Mai 2016, Toronto

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