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Himmel die Berge

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Abschied von den Freunden

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In den nächsten Tagen werde ich mein privates Facebook-Konto dauerhaft löschen. Zuvor möchte ich diesen Ort nutzen, um mich von meinen Facebook-Freunden zu verabschieden. Die meisten kenne ich nicht persönlich, einige sind Institutionen, etwa Buchhandlungen oder Verlage, andere existieren gar nicht, sind Pseudonyme oder tot. Ich habe Facebook stets als einen öffentlichen Raum empfunden und deshalb auch die Einladungen Wildfremder angenommen, so wie ich selber auch Freundschaftsanfragen an Personen ausgesprochen habe, die ich persönlich nicht kannte, aber zu denen ich mich aus verschiedenen Gründen hingezogen fühlte. In meinem News-Feed finden sich deshalb nun Beiträge in Sprachen, die ich nicht spreche, und in Alphabeten, die ich nicht lesen kann.

Meine allererste Statusmeldung auf Facebook, die ich am ersten April 2011 geschrieben hatte, wurde kurz darauf in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt: »Gestern habe ich den letzten Satz meines neuen Romans geschrieben, danach fiel ich sofort in ein Loch und wurde Facebook-Mitglied. Nach zwei Stunden wurde ich allerdings gesperrt, angeblich wegen zu vieler Aktivitäten (man hielt mich wohl für einen Roboter). Morgen soll ich aber entsperrt werden … Und am Montag deaktiviere ich meinen Account.«

Aus den drei Tagen bis Montag wurden am Ende über fünf Jahre.

Es gibt viele gute Gründe, sich von Facebook abzumelden, trotzdem fällt mir die Löschung meines privaten Profils nicht leicht. Zum einen, weil es einige liebgewonnene Menschen gibt, mit denen ich tatsächlich nur noch über Facebook in Verbindung stehe, zum anderen weil ich Klatsch und Tratsch liebe und Facebook dafür wie geschaffen ist. Auf Facebook habe ich Beziehungsdramen, Flirts und Gerichtsprozesse miterlebt und las Steuererklärungen, Haftbefehle und psychiatrische Gutachten. Die Nähe faszinierte und es war gar nicht wichtig, ob ich die Person kannte oder nicht. Tex Rubinowitz hat Facebook einmal einen »Wartesaal für Idioten« genannt, ich empfinde Facebook häufig eher als Bildzeitung meiner Freunde. Überdies verdanke ich Facebook erstaunliche Einblicke in den Autorenalltag meiner Kollegen, las über die Höhe von Vorschüssen bis hin zu Verlagsschelte und Lektorenlob. Ekkehard Knörer schrieb in einem Merkur-Aufsatz, dass viele der interessantesten literarischen Diskussionen in den Kommentarfeldern von Facebook stattfinden und ich teile diese Einschätzung und bin sicher, dass Literaturarchive in Zukunft hohe Summen an Facebook zahlen werden, um an diese Datennachlässe zu gelangen.

Ich selber habe mich an diesen Diskussionen höchstens mit dem Daumen beteiligt, einerseits weil mir der Ort zu öffentlich war, anderseits weil ich die Kommentarspalten auf Facebook zu versteckt fand. Dabei empfinde ich die Social-Media-Möglichkeiten für einen Schriftsteller als große Bereicherung und sehe sie als Teil meines Schreibens, so wie Lesen, Herausgeben oder Rezensieren. Zum Schluss möchte ich meine Freunde deshalb einladen, meine verifizierte Facebook-Autorenseite zu liken, denn im Grunde genommen poste ich hier fortan nichts anderes als auf meinem privaten Facebook-Konto. Meist geht es um mein Lesen und Schreiben und damit um das Persönlichste, das ich mit der Welt und Facebook teile. Die ein oder andere eigene Buchreklame wird sicherlich auch darunter sein, aber ich hoffe, dass man mir das verzeihen wird, schließlich sind Bücher laut Jean Paul ja auch nichts anderes als dickere Briefe an Freunde.

Marc Degens, 11. Mai 2016, Toronto

Tilikum

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Um Viertel nach acht werde ich wach. Ich stehe auf, ziehe mich an und verlasse das Hotel. Der Tag ist sonnig und klar. Ich laufe die Steward Street hoch, an der Ampelkreuzung kommt mir ein Mann in grauer Jogginghose entgegen. Ich gehe in ein Frühstücksrestaurant und setze mich an den freien Tisch am Fenster. Die Serviererin kommt, räumt die überflüssigen Bestecke ab, schüttet mir Kaffee in den Becher und nennt mich Honey. Vom Büffet hole ich mir Toast und Rührei. Der Laden füllt sich. Fast alle Tische sind besetzt und die Schlange vor dem Buffet wird immer länger. Die Servierin schenkt mir Kaffee nach. Aus dem Fenster sehe ich das Arcade-Spiele-Center. Ich stehe auf, zahle an der Kasse und verlasse das Frühstücksrestaurant. Zwei Pärchen nähern sich dem Eingang der FUN ZONE, die noch nicht auf hat, und rütteln enttäuscht an der geschlossenen Tür.

An der Kreuzung höre ich Möwenschreie und Dancing Queen. Die Straßen sind breit und leer. Am Parkplatz wirbt eine riesige Werbung für Marineland mit drei hüpfenden Orkas. Ich gehe zurück ins Hotel durch die sauberen Straßen. In den Fluren stehen Wäschekörbe und Putzfrauen reinigen die Zimmer. Ich nehme meine Tasche und verlasse das Zimmer. Das ihop-Restaurant neben der Lobby ist voll mit Gästen. Ich laufe zum Bahnhof, kaufe eine Cola im Minimarkt, gehe in den Casinopark und betrachte die Fälle. Dann gehe ich zur Bushaltestelle. Als ich am Bussteig ankomme, fährt der Bus vor. Eine Frau schiebt ihren Koffer zur Ladeklappe, ich steige als erster ein und setze mich hinten in den Bus auf den selben Sitzplatz wie am Vortag. Wir fahren los. Drei Frauen sitzen einzeln in den Reihen vor mir. Ich setze meine Kopfhörer auf und höre Musik. Heaven holds a place for those who pray. Hey, hey, hey.

Epilog zur Erzählung »Art Garfunkel«, erstveröffentlicht in Metamorphosen 12 (2016). Zur Genius-Fassung des Textes: artniagarafalls.tumblr.com

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